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Wing Chun Kettenfauststöße

Dominic Schafflinger • Dez. 30, 2019

Anwendung oder Trainingsmethode?

Wing Chun Kettenfauststoß, DAOCONCEPTS Salzburg

Während meiner jahrelangen Unterrichtstätigkeit wurde mir diese Frage immer wieder gestellt und ich musste mich mit Kritik an den Kettenfauststößen oder falsch verstandenem Allvertrauen in ebendiese auseinandersetzen. Vor ein paar Wochen las ich dann einen Artikel der „Wing Chun Illustrated“, der genau dieses Thema behandelte. Sifu Donald Mak fasste hier die wichtigsten Konzepte und Ideen zu den sogenannten „Kettingern“ zusammen und ich kam ins Grübeln. Nicht, dass ich nicht in den wichtigsten Punkten mit ihm übereinstimme. Nein, es ging mir nun mehr um die Entstehung meiner Überzeugungen und um die Ideen meiner Schüler. Meist erlebte ich zwei völlig konträre Standpunkte, wenn es um Fauststöße ging. Die meisten Anfänger vertrauen den Kettenfauststößen nach einiger Zeit blind, fest davon überzeugt, dass diese eine perfekte Erfindung des Wing Chun sind und ihnen in jeder Bedrohungslage zum Sieg verhelfen werden. Aber dann war da auch noch die andere Seite, nämlich jene, die vorher, oder parallel, andere Kampfsportarten trainierten. Boxer sind den Kettenfauststößen gegenüber meist sehr kritisch eingestellt, wenn sie diese erlernen, da sie sie für ungeeignet halten, gegen erfahrenen Kämpfer damit anzutreten. Dieser Kritik musste ich als Lehrer immer wieder begegnen und versuchen diese zu entkräften bzw. ins rechte Licht zu rücken. In meiner eigenen Entwicklung waren es zu Anfang meiner Wing Tsun „Karriere“ die sogenannten Blitz-Kombis, die ich als höchst selbstverteidigungstauglich empfand. Die Kettenfauststöße waren eher die letztmögliche Notlösung. In meiner Vorstellung wiesen diese, spätestens vor Gericht große Schwierigkeiten auf, da fünf bis sieben Fauststöße ins Gesicht wohl schnell als übertriebener Selbstschutz gedeutet werden könnten, und ich somit vor Gericht nun auch noch dafür bestraft werden würde, wenn ich mich mit diesem Mittel verteidigte. Nichts desto trotz erachtete auch ich sie damals als extrem effektives Mittel in absoluten Notsituationen. Mit den Jahren und der Auseinandersetzung mit anderen Kampfkünsten und einiger Sparringerfahrung, gelangte ich zu dem Schluss, dass wohl andere Techniken wie Jabs, Haken und Uppercuts besser geeignet wären, um in einem Kampf zu bestehen. Viele Konzepte borgte ich aus anderen Kampfkünsten, um Probleme zu lösen, auf die mir Kettenfauststöße (und andere Wing Tsun Techniken) keine Antwort gaben. Als ich anfing mich vor Jahren auch mit anderen Wing Chun Stilen auseinanderzusetzen, änderte sich meine Meinung langsam. Die einprägsamste Erfahrung hier war wohl der Kontakt mit dem Ving Tsun Wong Shun Leung’s in der Linie Philipp Bayer’s. Nun hatte ich ein völlig neues, funktionales Bild zu den „Kettingern“ und ihrer Verwendung gewonnen.

Heute würde ich die Frage nach der Effektivität der Kettenfauststöße mit Ja und Nein gleichzeitig beantworten. Sifu Mak ist in seinem Artikel der Meinung, dass gerade die in den Ip Man Filmen gezeigten Kettenfauststoßtechniken nicht realistisch sind und er hat vollkommen recht. Kein Kämpfer benötigt 10 Fausstöße auf die Brust des Gegners um diesen zu Boden zu schicken, bzw. auszuknocken Es gibt nur zwei Möglichkeiten bei einem Fauststoß, entweder er trifft, oder er trifft nicht. 
Wenn der Fauststoß trifft, benötigen wir ein bis drei wirklich kräftige, aufeinanderfolgende Fauststöße um einen Gegner auszuschalten. Wenn wir mehr benötigen, wird es für uns gefährlich, denn dann wird der Gegner durch die Ersten, die er anscheinend erfolgreich schlucken konnte, nur noch wütender und es entwickelt sich ein Schlagabtausch. In diese, Fall verwende ich wieder keine Kettenfauststöße, sondern ChiSao Fähigkeiten und schnelle Reflexe, um seine Angriffe abzuleiten und mich zu schützen.

Wenn der Fauststoß nicht trifft, wird der Gegner ausgewichen sein, entweder seitlich oder nach hinten. Nun ist es nicht ratsam, ihn mit immer der gleichen Technik zu verfolgen, denn so kann er antizipieren und uns um unseren Fauststoß herum angreifen. Auf Youtube gibt es zuhauf Videos, die die Wirkungslosigkeit solcher falsch verstandenen Kettentechniken demonstrieren. Ein nicht kleiner Teil der Vorurteile, dass Wing Chun in Wirklichkeit gar nicht funktioniere, leitet sich von den Niederlagen dieser Kettenfauststoßfetischisten ab, denn auch sie haben die Technik des Fauststoßes falsch verstanden, oder falsch gelernt bekommen.

Aber sehen wir uns die Trainingsmethode erst einmal an…

Eine alte Wing Chun Regel besagt, man sollte jeden Tag Kettenfauststöße üben, diese sollten so schnell und so locker wie möglich ausgeführt werden. Tunlichst vermeiden wir, den Bizeps anzuspannen und werfen unsere Fäuste nach vorne. Meine gesamte Gelenkskette ist bei den Fauststößen locker, die Schultern entspannt und nicht nach oben gezogen. Allerdings muss der Ellenbogen gleichzeitig immer schwer bleiben, d.h. nach unten ziehen und nach voller Streckung des Arms sofort wieder leicht abwinkelt werden (auch wenn ich Anfänger Schritt für Schritt unterrichte und diesen erst einmal beibringe den Arm durchzustrecken, um so sich selbst und die Position kontrollieren zu können). Die richtige Übung beruht auf dem Prinzip der endlosen Wiederholung, um dadurch die korrekte Kraftübertragung zu erlernen, die Muskeln, welche für diese Bewegung benötigt werden zu trainieren, die korrekte Körperhaltung einzunehmen und diverse andere Aspekte zu üben. Kungfu ist „bitter essen“ wie ein chinesisches Sprichwort sagt, und so ist es auch bei den Fauststößen. Erst wenn diese 10.000 Mal „verdaut“ wurden, stellt sich Effektivität ein und darum werden die Fauststöße an einer „Kette“ aneinandergereiht.
Die Anwendung am Partner oder Gegner gestaltet sich allerdings etwas anders, denn hier kann ich nicht einfach mit Kettingern auf ihn zustürmen und hoffen, dass er vor Schreck gelähmt stehen bleibt. Nein, ich benötige das richtige Timing und die richtige Postition. Sifu Mak erklärt, was Kettenfauststoß, auf Cantonesisch „Yat Jee Chung Kuen“, übersetzt bedeutet. Yat Jee bedeutet so viel wie die Sonne und meint die stehende Position der Faust, welche Ähnlichkeit mit dem chinesischen Zeichen für Sonne (Mandarin: rì,日) hat. Kuen bedeutet Faust oder Stil. Chung wird oft als Zentrum oder Mitte, wie in Zentrallinie gedeutet, aber mit einer etwas anderen Tonalität ausgesprochen bedeutet es noch etwas anderes, nämlich in etwas hineinstürmen. Und hier wird die Qualität des Fauststoßes deutlich. Wir benötigen einen entschlossenen Angriffsimpuls nach vorne, um unsere Fauststöße einsetzen zu können. Und woher bekommen wir diesen? Natürlich nur durch unsere Beinarbeit. Der Wing Chun Fauststoß hat keinen Wert, wenn ich mich nicht bewegen kann, dem Angriff des Gegners ausweiche und von der Seite hineinstürme oder direkt seinen Angriff mit meinem tiefen Ellenbogen oder einer andern Technik abfange, nur um gleichzeitig zu treffen. Ein Mal genügt dann meistens!

Im ChiSao benützen wir die Fauststöße um zu treffen, aber nicht getroffen zu werden, wir wechseln schnell die Seite und verschieben die Zentrallinie des Gegners mit unseren tiefen Ellenbogen, während wir schon angreifen, und können auf kürzeste Distanz noch Kraft übertragen um unseren Gegner auszuschalten. Trotzdem kann aus einem Fauststoß noch immer eine andere Technik, ein BongSao oder ein JumSao, werden – dafür müssen wir locker sein! Viele Techniken basieren auf der Ellenbogenkraft, die wir durch der Übung der Kettenfauststöße gelernt haben. Auch hier brauchen wir Timing, Flexibilität und eine gute Position zum Gegner.

Ein Fauststoß ist immer ein Ganzkörperschlag, wir bewegen uns mit jedem „Kettinger“ im Raum, blocken* mit ihm und formen ihn bei Bedarf zu einer anderen Technik um. Lebendig und effektiv wird der Fauststoß erst in Verbindung mit der richtigen Beinarbeit, dem entsprechenden Timing, und dann genügen auch ein bis drei Fauststöße. Mit richtig verstandenen Wing Chun Fauststößen kann man dann auch eingefleischte Boxer davon überzeugen, dass der „Yat Jee Chung Kuen“ effektiv ist. Doch das alles umzusetzen erfordert viel Training und Übung. Aus diesem Grund ab ins Training und 1000 Kettenfauststöße!!! 

Vielen Dank an Sifu Donald Mak für den Denkanstoß zu unserer grundlegendsten Technik.

Wer mehr zu dem Thema wissen möchte, dem empfehle ich die aktuelle Ausgabe der Wing Chun Illustrated (https://www.wingchunillustrated.com).

Verwendete Literatur:
Mak, Donald: Wing Chun Fighting Strategies: Part 1. Is Chain Punching Realstic and Effective? In: Wing Chun Illustrated. Issue 50, Oktober 2019.


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Im Chen Taijiquan ist es ein zentrales Thema, das eigene Zentrum zu bewahren. Dies meint, nicht seine Mitte zu verlieren und das nicht nur im körperlichen Sinne. Die grundlegende Idee stammt von Laozi, dem Ahnherrn des Daoismus: „Wer andere kennt, ist klug, Wer sich selber kennt, ist weise. Wer andere besiegt, hat Kraft. Wer sich selbst besiegt, ist stark. Wer sich durchsetzt, hat Willen. Wer sich genügen lässt, ist reich. Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer. Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt.“ Die Aspekte die diesem Prinzip zu Grunde liegen sowie deren Umsetzung im täglichen Training sowohl als auch im Leben liegen sind Thema dieses Artikels. Die für unser Thema wichtige Zeile ist hier die Vorletzte: „Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer“. Denn was oder wo ist dieser Platz? Es handelt sich nicht um einen Ort, sondern um unsere Position in uns selbst. Dieser Platz ist unsere Mitte. Die Dauer von der der Alte Weise hier spricht ist nicht in erster Linie eine zeitliche, sondern es ist die Konstantheit des Lebens damit gemeint. Die Kunst man selbst zu bleiben, unbeeinflusst von äusseren Aspekten. Wie wir noch sehen werden hat das aber beides durchaus auch mit unserm materiellen Leben, also mit Zeit und Raum zu tun. Somit könnte man die Übersetzung Wilhelms auch mit: „Wer seine Mitte nicht verliert, der überdauert alle Wirren der Welt“ übersetzen. Somit sehen wir, dass die Stärke, welche aus dem Bewahren unseres Zentrums hervorgeht es uns ermöglicht, die alltäglichen Hochs und Tiefs des Alltages zu bestehen und dabei wir selbst zu bleiben, uns quasi nicht vor Wut zu vergessen, nicht von Angst gelähmt zu werden oder uns von anderen Gefühlen voll vereinnahmen zu lassen. Auch Spaß birgt seine Gefahren wenn er pathologisch wird, denken wir nur daran, welche Freude Drogenabhängige, oder oft ganz einfach nur desillusionierte Jugendliche beim regelmäßigen Konsum schwerer Alkoholika, auf ihrem regelmäßigen Trip erfahren und dann von diesem Gefühl getrieben, von einem Rausch zum nächsten wandern und sich dabei immer weiter von sich selbst und ihren wahren Talenten und ihrem Platz in der Welt weg bewegen. Menschen können sich sogar selbst vergessen, wenn sie allabendlich vor dem Fernseher liegen und davon so paralysiert sind, dass sie nicht einmal merken, dass es für sie gesünder wäre, sich ab und an zu bewegen oder etwas für ihren Geist bzw. ihr Seelenleben zu tun. Das unsere Mitte leicht verloren gehen kann, wissen wir selbst alle aus bester eigener Erfahrung, es braucht uns oft nur jemand auf der Autobahn zu schneiden, oder sich eine familiäre Diskussion zu einem Streit auswachsen, hier sagen oder tun wir Dinge, die wir später bereuen und nie von uns gegeben hätten, wenn wir ein ruhiges Gemüt behalten hätten. Stress ist eines der besten Beispiele unserer Zeit, welches belegt, wie ungesund es auf Dauer ist, sich von seiner Mitte zu entfernen. Sind wir gestresst, sind wir nur mehr im Tun, wir versuchen, uns innerlich zerreißend, überall alles gleichzeitig zu erledigen, somit sind wir energetisch permanent im Aussen, unser Qi zerstreut sich in alle Richtungen ohne zielgerichtet wirken zu können. Deshalb fühlen wir uns nach einem stressigen Tag auch so matt und müde. Wir befinden uns nicht bei uns, daher nicht in unserer Mitte und auch können wir dadurch nicht „dauern“. Da wir im Stress nicht mit unserer Arbeit zurande kommen, die gerade noch vor uns liegt, laufen wir ihr nach und befinden uns somit gedanklich immer in der Zukunft, in der diese und jene Aufgabe noch auf uns wartet. Werden wir gemobbt, löst auch das Stress aus, weil wir nicht in der Gegenwart sein wollen, in der uns Menschen keine positive Energie entgegenbringen, bzw. leiden wir unter der Zukunft, weil wir ja wissen: „Morgen in der Arbeit bekomme ich wieder so richtig eines drauf.“ In Depression und apathische Melancholie können wir wiederum nur verfallen, wenn wir ständig unserer Vergangenheit nachtrauern, unser Gemüt wird hier von den schlechten Erfahrungen die bereits Hinterns liegen gespeist. Wären wir nur in der Gegenwart, hätten diese Erfahrungen keine Macht über uns, schließlich sind sie ja nur in unserer Erinnerung existent. Dauern kann jedoch nur jemand oder etwas, das ganz und gar im Jetzt da ist. Nehmen wir die Chinesische Mauer, könnten wir sagen, sie dauert, wenn sie noch nicht erbaut oder gar nicht mehr da wäre? Eher nicht. Wie sieht das nun in unserer Taijiquan Praxis aus? ENDE DER LESEPROBE... Wenn dich der Artikel neugierig gemacht hat, dann hol dir das Magazin oder schau auf die Seite des Taijiquan und Qigong Journals. Das ganze Magazin mit dem kompletten Artikel findest du hier – https://www.united-kiosk.de/fachzeitschriften/pflege-medizin/taijiquan-qigong-journal/ Hier gehts zur Seite des Taijiquan und Qiging Journals – https://tqj.de Beim Shooting für die Beitragsbilder versuchten wir Stress und das Finden der eigenen Mitte gegenüber zu stellen. Daraus wurde ein unglaublich lustiges Shooting, wie ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt, wenn ihr die Bilder unten betrachtet. Danke wie immer an meine 'Beste Fotografin der Welt' Theresa Hofmüller –  www.theresart.at
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Donald Trump twittert im April, dass es sich bei Corona um ein chinesisches Virus handelt – also, dass die Chinesen an allem Schuld seien. Ganz nebenbei verdammt er später noch die WHO, indem er sie als handlungsunfähig und chinafreundlich beschimpft. Während Christian Drosten im Frühling in Deutschland immer wieder die Gefährlichkeit des Virus betont, erklärt Sebastian Kurz öffentlich, das bald jeder einen Coronatoten im Bekanntenkreis haben werde. Auf der anderen Seite stehen Prof. Sucharit Bhakdi, Martin Sprenger und andere durchaus angesehene Mediziner, und argumentieren, dass das Virus eben nicht viel gefährlicher einzustufen sei, als eine Grippe und kritisieren das harte und vehemente Vorgehen der Regierungen in Europa - eine Linie, die inzwischen von Staaten auf dem gesamten Globus angewandt wird. Und genau hier, in der weltweiten Anwendung, wird aus jener antikapitalistischen und regierungskritischen Sichtweise eine globale Verschwörungstheorie. Natürlich unterfeuert von jenen, welche die Gefährlichkeit des Virus in Frage stellen. Dieser Artikel soll kein Feldzug gegen Verschwörungstheoretiker sein, aber auch nicht Partei für jene ergreifen. Weiters liegt es mir fern, Christian Drosten oder Sucharit Bhakdi, die beide ausgezeichnete Mediziner sind, zu verunglimpfen. Ganz im Gegenteil. Ich möchte keine Zwietracht säen, sondern einfach mal versuchen, dieser Krise etwas positives abzugewinnen und Fakten zu präsentieren, die es uns vielleicht möglich machen, die allgemeine Negativität und Zukunftsangst zu zerstreuen und stattdessen den Blick auf die positiven Aspekte dieser Krise lenken. Zum Einen, da ich als Achtsamkeits-, Meditations- und Martial Arts Lehrer weiß, wie wichtig es ist, einen freudigen Blick auf die Zukunft zu haben um mental gesund und belastbar zu bleiben. Auf der anderen Seite sehe ich die gesellschaftliche Notwendigkeit, wieder zu einem freundlichen Klima zwischen den inzwischen doch sehr gespaltenen Gruppen der Corona-Warner und den „Anti-Corona-Einschränkungen“-Demonstranten zu gelangen. In vielen Wissenschaften wird inzwischen gerne davon gesprochen, dass sich eine Idee zu einem Paradigma oder zu einer verfestigten These entwickelt, sich aber dann eine Gegenbewegung bildet, die eine Antithese vertritt. Am Ende jedoch treffen sich beide und es entsteht das Gemeinsame, die Synthese. Meine erste Idee ist, dass wir auch, gerade was Covid-19 betrifft, langsam in diese letzte Phase eintreten sollten, einen synthetischen Standpunkt vertreten und so beruhigend und mäßigend auf unser Umfeld einwirken, um wieder eine Verbindung oder ein Verständnis zwischen beiden Seiten möglich zu machen. Als nächste Prämisse möchte ich, dass wir kurz den Blick von der näheren Zukunft abwenden. Es geht hier nicht um den geliebten Urlaub auf Kuba, der dieses Jahr nicht möglich ist. Es geht auch nicht darum, ob die zweite Welle jetzt noch kommt oder doch nicht – und seid beruhigt, wir werden auch diese überstehen, wenn wir zusammenhalten – nein, es geht um die langfristige Perspektive, ja um das, das so viele heute als „Normalität nach Corona“ bezeichnen. Die Argumente für eine Welt nach Corona, die besser ist als die alte, liegen seltsamerweise vor uns verborgen, obwohl sie doch so offensichtlich sind. Wenn wir die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona betrachten, macht sich eine begründete Angst um Arbeitsplätze bemerkbar, viele sind schon in die Arbeitslosigkeit gerutscht oder haben Einbußen hinnehmen müssen. Gerade die Tourismusbranche kämpft um ihr Überleben. Der Staat hat sich tief verschuldet um die Auswirkungen abzufangen und die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen. Allein die EU stellt für ihren europäischen Aufbauplan 2,4 Billionen Euro zur Verfügung. Wie also können wir das jemals zurückzahlen, wo soll dieses Geld herkommen? Ich empfehle, es als eine Investition in die Zukunft zu betrachten, denn wenn man sich die Geldflüsse - nicht nur die staatlichen - anschaut, dann erleben wir gerade aus Börsensicht einen völligen Umbau unserer Wirtschaft. In den letzten Monaten waren es die Technologiewerte, welche die besten Ergebnisse erzielten und die beste Performance ablieferten. Blickt man dann nochmals genauer hin, zeigt sich auch ein massiver Geldfluss hin zu den erneuerbaren Energien. Allein der deutsche Batteriebauer Varta erhält im Juli 300 Millionen Euro zur Entwicklung noch leistungsstärkerer Batterien und ist gerade dabei, in den Markt für E-Mobilität einzusteigen. Übrigens läuft auch die Entwicklung von Batterietechnologie, die ohne seltene Metalle wie Lithium auskommt, auf Hochtouren. Die Tesla-Aktie hat ein neues Allzeithoch erreicht und seine Autoverkäufe während der Krise annähernd stabil gehalten. Firmen wie Plugpower, Ballard Systems und Nel erreichten neue Rekordstände an den Börsen, alle engagiert in Wasserstoff. Auch die Anbieter von Solarzellen boomen. Die Liste ließe sich beliebig lange weiterführen. Für den Börsianer sind die Trends klar erkennbar - die Wirtschaft ergriff die Chance, mit dem Coronachrash ihre Finanzwerte umzuschichten und beflügelt durch Staatshilfen nun den „Greendeal“ in Angriff zu nehmen. Hierfür spricht auch die neue Zusammenarbeit zwischen Daimler und Nvidia, einem der größten US-Chip Hersteller, der den Stuttgartern helfen soll, in den nächsten Jahren ein ernstzunehmender Konkurrent für Tesla zu werden. Die Chancen standen noch nie so gut wie heute, dass wir uns endlich vom Erdöl lossagen – auch dank der Pandemie. Dies gilt auch für das Ende der großen Zeit der Kreuzfahrtindustrie, die unglaublich viel Dreck in die Atmosphäre geblasen hat, da günstiger Schiffsdiesel und das Verbrennen von Rohöl nicht weit auseinander liegen, aber auch für LKW und Flugzeuge, deren Umrüstung auf Wasserstoff nur mehr eine Frage der Zeit scheint. Nikola, als einer der Gewinner der Coronakrise mit einen Börsenwert von inzwischen über 20 Milliarden US-Dollar, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den kompletten LKW-Verkehr der Zukunft zu verändern und auf Wasserstoff umzustellen. Airbus forscht in der Zwischenzeit an Möglichkeiten, Flugzeuge mit der gleichen Technologie zu betreiben. So ist eine neue Mobilität nun endlich auch finanziell auf dem Vormarsch. Letztendlich erleben wir auch eine dramatischen Änderung in der Globalisierung, die vor Covid-19 ihren Höhepunkt erreichte. Westliche Regierungen erkennen nun, dass wir uns nicht auf die Billigproduktion in asiatischen Ländern verlassen können, sondern dass wir im Falle eines Rückgangs des internationalen Handels unsere Grundbedürfnisse hier vor Ort decken müssen. So beginnt gerade jetzt das Umdenken in Richtung Regionalisierung, vor allem für systemkritische Branchen und die nun rascher denn je fortschreitende Digitalisierung wird auch kleinen Unternehmen die Möglichkeit gegeben, einen größeren Markt für ihre Produkte anzusprechen - Internetvertrieb wurde mit der Krise zum Muss und hier liegen noch ungeahnte Möglichkeiten. In Österreich gibt es schon länger umfangreiche Förderprogramme um die Klein- und Mittelbetriebe auf den neuesten Stand zu bringen, welche nun hoffentlich intensiver genutzt werden. Die Angestellten haben sich schon fast an die neue digitale Arbeitswelt mit verstärktem Homeoffice und weniger Dienstreisen gewöhnt und damit eine andere Entwicklung ausgelöst, die wiederum viel CO2 einsparen kann. Das behördlich verordnete Daheimbleiben durch Lockdowns und Social Distancing lösten im Frühling einen massiven Run auf die Baumärkte aus und die Menschen begannen wieder, den Wert der eigenen vier Wände zu entdecken und diese aktiver als zuvor zu gestalten, oftmals auch viel grüner. Aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass bereits geringer Kontakt mit Natur, Pflanzen und Bäumen genügt, um negativen Emotionen wie Angst und Depression beizukommen. In der Krise dürften mehr Menschen als je zuvor diese Qualitäten am eigenen Leib erfahren haben. Eine italienische Läuferin in Bergamo beschreibt in einem Interview eindringlich, wie sehr sie die langen Läufe in den Wäldern vermisste, da sie nur Nachts ihre Straße auf und ab laufen konnte, welche sie wegen des Lockdowns nicht verlassen durfte. Freunde berichten mir voller Freude, dass sie nun endlich ein Hochbeet zuhause hätten und wie sehr sie es liebten, den Pflanzen jeden Tag beim Wachsen zuzusehen. Fehlen die Ablenkungen des modernen städtischen Lebens, besinnen wir uns schnell wieder auf unsere grünen Wurzeln. Auch wird der eigene Garten oder Balkon immer mehr zur (oft vertikalen) Anbaufläche für eigenes Gemüse - gesund und frei von Pflanzenschutzmitteln! So betrifft die „Corona-Transition“ auch die Ernährung - und hier nicht nur den Eigenanbau, sondern vor allem die Fleischindustrie. Es ist nicht nur am Fall des Fleischriesen Tönnies klar erkennbar, dass der Trend in eine neue Richtung geht. Ob man nun den Fall Tönnies als eine bewusste Diskreditierung eines Unternehmers durch die Behörden sieht, in der das Wissen um das Vorhandensein von für den Menschen unschädlichen, tierischen Coronaviren explizit ausgenutzt wird um einem Unternehmer zu schaden und die öffentliche Meinung zu manipulieren, oder ob man der Meinung ist, dass die Firma wirklich absolut unverantwortlich handelt, spielt in einer größeren Perspektive wenig Rolle. Das Leid der Tiere in solchen Schlachtbetrieben ist oft unvorstellbar und auch die Mitarbeiter, die günstigst über Subfirmen beschäftigt werden, würden bessere Arbeitsbedingungen verdienen. Da man kaum mehr Inländer findet, die diesen traurigen Job übernehmen wollen, muss man auf Lohnarbeiter aus dem Osten zurückgreifen, die oft keine andere Möglichkeit haben, ihren Familien ein Auskommen zu sichern. Nun stehen diese Betriebe endlich im Fokus und in Deutschland entbrennt gerade eine Debatte über zu günstiges Fleisch. Die Coronakrise liefert Unterstützung für das Tierwohl und wir sehen nun deutlicher als je zuvor, dass sich hier etwas ändern muss. Gleiches gilt für den Aufstieg des Fleischersatzes, egal ob aus pflanzlichen Rohstoffen, wie es Beyond Meat mit seinen Produkten bereits erfolgreich vormacht, oder aus Zellen, mit denen im Labor ein Steak nachgebildet wird. Die Nahrungsmittelindustrie verändert sich dieser Tage rapide. Fakt ist, dass man für echtes Fleisch in der Zukunft wahrscheinlich tiefer in die Tasche greifen muss, aber pflanzliche Produkte zur Auswahl hat, die den gleichen oder ähnlichen Geschmack zum Discountpreis bieten. Was wir dann letztendlich konsumieren, muss jeder selbst entscheiden. Wichtig ist nur, dass über faire Preise vielleicht bald lebenswerte Leben für das Gros der Schlachttiere möglich werden könnten. Wenn man weiß, dass Deutschland in den letzten 10 Jahren zu einem der größten Schweinefleischexporteure mit einem Exportvolumen von 2,4 Millionen Tonnen Fleisch gewachsen ist, liegt es auf der Hand, dass die Tiere hier als Billigware und nicht als Lebewesen behandelt wurden. Eine Schande für eines der entwickeltsten Länder der Welt. Doch wir befinden uns gerade an Anfang des großen Umdenkens. Ob Covid-19 nun zufällig ausgebrochen ist und dann zur ca. alle 100 Jahre grassierenden Pandemie geworden ist, oder sich eine Elite diesem Virus bedient, ist für mich zweitrangig und die Spekulation darüber nur ein eloquentes Gedankenexperiment. Und für die Verschwörungstheoretiker, die alles auf die Kontrolle einer kleinen Elite von Multimillionären zurückführen: Wer sagt, dass diese Elite tief böse ist? Vielleicht ist es andersherum auch mal ein spannender Gedanke, anzunehmen, dass auch diese Menschen nichts anderes als einen gesunden Planeten für ihre Kinder wünschen? Am gesündesten ist es zweifellos, davon auszugehen, dass die „Neue Normalität“ eine bessere sein wird – ökologischer, aber auch technisierter. Wir werden zwar einsehen müssen, dass die Freiheit, zu Billigpreisen um den Planeten zu jetten, eventuell für immer verloren ist, aber vielleicht werden wir bald mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Asien reisen - die Pläne dazu stehen übrigens schon. Wir sind dabei, den Wert von Natur wieder schätzen zu lernen, wir werden auf den Dächern der Stadt Strom erzeugen und an unseren Außenwänden Pflanzen kultivieren, werden unsere Freunde und Geschäftspartner vermehrt über Onlinevideokonferenzen sehen, dafür aber dank Homeoffice und Videocalls mehr Zeit bei unserer Familie verbringen. Nun kann die Kaffeepause endlich dazu genutzt werden, mit dem Nachwuchs schnell 5 Runden auf der Carrera-Rennbahn zu drehen, und wie bei Carrera im Kleinen werden wir auch im Großen immer mehr Elektromobilität nutzen, in Form von E-Scootern, E-Bikes, E-Autos und allem, was die nächsten Jahre noch bringen werden. Die Lieferkette unserer Waren wird wasserstoffbasiert sein. Vom Zentrallager bis an die Türe kommen die Waren dann via Drohne oder Roboter. Durch den Digitalisierungsdruck, der im Lockdown nun vor allem auch die kleinen und mittleren Unternehmen zwang, ihre Onlinepräsenz zu verstärken, wird es hoffentlich auch immer mehr möglich sein, dass davon auch ebendiese kleinen Händler und Firmen profitieren. Wenn wir es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten schaffen, Europa in Richtung Öko-Deal zu reformieren, gleichzeitig unsere demokratischen Grundwerte zu bewahren und die Vision eines ökologischen, pluralen und zutiefst fairen Europas in den Köpfen zu verankern, könnte nun ein goldenes, aber auch digitales Zeitalter beginnen. Natürlich erfordert all dies Mut und eine gehörige Prise Optimismus, aber genau das kann eben nicht von oben herab indoktriniert werden - beides müssen wir erst in unseren Herzen kultivieren. So kann aus der größten Krise, die wir seit dem zweiten Weltkrieg erlebten, vielleicht die größte Chance für unseren Kontinent und für den ganzen Planeten werden.
von Dominic Gottfried Schafflinger 30 Juni, 2020
Die Stadt Salzburg vergab am 22.6.2020 den Zuschlag für ein Arbeitsstipendium im Wert von 3000,— Euro an Dominic Schafflinger, der damit sein Projekt zur Entwicklung eines Mindfulness (Achtsamkeits) Workshops für die Horte und Kindergärten der Stadt Salzburg realisieren kann. Damit bekommen Kinder aus allen Gesellschaftsschichten die Möglichkeit an einem Trend zu partizipieren, der in der Psychologie sowie in Human Resources- und Management Prozessen seit Jahren Anwendung findet. Mindfulness trägt zu einer gesteigerten Emotionsregulierung bei, verringert Ängstlichkeit und steigert das Wohlbefinden, durch nichtbewertende Konzentration auf den gegenwärtigen Moment. Ein besonderer Fokus liegt darauf, das Konfliktverhalten der Kinder zu verbessern. Die Workshops gliedern sich nahtlos in die Gewaltpräventions- und Selbstbehauptungsworkshops von Dominic Schafflinger ein, die er seit Jahren für die Magistrate der Stadt Salzburg durchführt. So kann nun vermehrt auch die mentale Seite aktiv gecoacht werden. Dominic Schafflinger will hierfür mit anerkannten Experten auf dem Gebiet zusammenarbeiten. Das Projekt startet nun in die Entwicklungsphase und sollte pünktlich zum Start des Sommersemesters 2021 fertiggestellt sein. Dominic Schafflinger ist Entwickler der „Chinese Mindful Arts“ und Gründer von DAOCONCEPTS, Autor, Gründungsmitglied der „Chinese Martial Arts Union - Salzburg“ und freiberuflicher Lehrer für Kampf-, Bewegungs- und Meditationskunst und zertifizierte WCTAG (World Chen Xiaowang Taijiquan Association Germany) Lehrkraft. Seine Masterarbeit verfasst er gerade zur Kulturgeschichte der Mindfulness. Besonderer Dank gilt Bürgermeister Harald Preuner für die Bereitstellung der finanziellen Mittel, und Vizebürgermeister Bernhard Auinger für die Gewährung des Stipendiums. Dies unterstreicht das Interesse der Stadt an der Einbindung neuer Unterrichtskonzepte in Bildungseinrichtungen und damit in den Alltag der jüngsten Stadtbürger.
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