Leichter in den Flow kommen:
Meditation, Sport oder einfach die Dinge tun, mit denen wir als Kind oft Stunden verbringen konnten.
Ist Flow Achtsamkeit?
Nach langer Zeit hatte ich eine liebe langjährige Freundin und Studienkollegin wieder getroffen, wir sitzen bei Tee und persischen Gebäckköstlichkeiten und plaudern frei aus unserem Leben. Wir tauschen Erfahrungen aus und da sich ein großer Teil meiner Freizeit um Taijiquan, Mediation und intensive, achtsame Erlebnisse dreht, wandert auch das Thema der Unterhaltung ebenfalls in diese Richtung. Meine Bekannte macht zwar keine feste, regelmäßige Praxis, probiert jedoch vieles aus. Im Moment hat es ihr das Spazieren angetan – alleine durch die herbstlich bunten Wälder am Stadtrand oder die ausgedehnten Parks Salzburgs zu streifen. Ekstatisch berichtet Sie von Erlebnissen, in denen das gleichmäßige Wogen ihrer Schritte sie beruhigt und zu sich selbst zurückbringt, sie ganz im Moment aufgeht. „Plötzlich werden alle Farben viel intensiver, ich fühle mich eins mit dem Zwitschern der Vögel und die Zeit scheint irgendwie langsamer zu verrinnen - es ist so friedlich in mir und um mich herum - ich denke, ich bin ganz im Flow.“
Gerührt von dieser selbstvergessenen Schilderung beginne ich freudig zu lächeln und mir entkommt ein staunendes „Wow“. Wenn solche Geschichten spontan aus einem begeisterten Herzen kommen und nicht aus der Absicht jemanden zu beeindrucken, dann bringt das Menschen näher zueinander. Nach einem kurzen Augenblick des verständnisvollen gemeinsamen Schweigens, in dem wir beide in dem gerade Geschilderten schwelgen, beginne ich vorsichtig einzuwerfen, dass sich das sehr nach einem Achtsamkeitserlebnis anhört, den Begriff Flow verbinde ich mit etwas anderem, nämlich mit dem Ausblenden vieler Dinge, die rund um mich passieren, weil ich mich voll und ganz in einer einzigen Tätigkeit verliere. Kurz darauf finden wir uns mitten in einer lebendigen Unterhaltung über das, was wir beide für Achtsamkeit und Flow halten, ohne am Ende zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. In den nächsten Tagen beschäftigt mich das Thema noch immer, ist Flow und Achtsamkeit das Selbe? Für mich stellen sich die Erfahrungen, die ich während meiner Achtsamkeitspraxis mache immer anders dar, als jene, die ich beispielsweise beim Langstreckenlaufen erlebe. Was nun ist dieses Flow Gefühl? Wie, wenn überhaupt unterscheidet es sich von Achtsamkeit und können wir unseren Alltag damit bereichern?
Orin Davis und Vera Ludwig stellen in einem Arbeitspapier die Definitionen von Flow und Achtsamkeit (Mindfulness) gegenüber. Sie beschreiben das Flow-Gefühl, als einen Zustand, in dem wir motiviert ein Ziel verfolgen, welches uns viel abverlangt, ohne uns zu gänzlich zu überfordern. Unsere Konzentration ist darauf gerichtet, die Achtsamkeit auf jenen Dingen ruhen zu lassen, die zur Erreichung des Ziels nötig sind und alle unsere Fähigkeiten darauf auszurichten, die Herausforderung zu meistern, alle anderen Aspekte rücken in den Hintergrund oder verschwinden ganz. Achtsamkeit dagegen bedeutet nach Jon Kabat Zinn, dem Vater der modernen Mindfulnessbewegung, „auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.Sie macht uns die Tatsache bewusst, dass unser Leben aus einer Folge von Augenblicken besteht. Wenn wir in vielen dieser Augenblicke nicht völlig gegenwärtig sind, so übersehen wir nicht nur das, was in unserem Leben am wertvollsten ist, sondern wir erkennen auch nicht den Reichtum und die Tiefe unserer Möglichkeiten zu wachsen und uns zu verändern…“
Der größte Unterschied zwischen beiden Bewusstseinszuständen ist demnach der, dass wir im ‚Flow‘ ganz in einer einzigen Tätigkeit aufgehen und alles rundherum vergessen, aber sind wir achtsam, legen wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf eine bestimmte Tätigkeit, sondern nehmen alles auf was da ist und versuchen auch nicht es zu ändern oder ein anspruchsvolles Ziel zu erfüllen (obwohl das Verweilen im gegenwärtigen Moment an sich oft schon ein unglaublich anspruchsvolles Ziel für sich darstellt). Achtsamkeit schließt nichts aus, nimmt alles was da in unsere Aufmerksamkeit kommt als wesentlich an, ohne daran anzuheften, ‚Flow‘ bedeutet aber den Fokus ganz auf das zu richten, was man selbst gerade als wesentlich empfindet, gebündelt mit der Motivation es zu tun.
„Flow ist eine alternative Form von Bewusstsein!“ Steven Kotler
So lässt es sich nun auch leicht erkennen, welche Vorteile das Flow-Gefühl uns im Alltag bieten kann. Mit dem Flow geht eine massive Zunahme der Leistung und Produktivität einher. Die Consulting Firma McKinsey fragte führende CEO’s nach ihrer Erfahrung mit Flow-Erlebnissen und diese berichteten von einer subjektiven Leistungssteigerung von 500%. Studien zum Lernerfolg während eines Flows kamen auf eine Leistungssteigerung von 240%, während gleichzeitig die Kreativität um unglaubliche 400-700% zunahm.
Steven Kotler, einer der führenden US Experten für Spitzen-Performance erforschte auch die neurobiologischen Auswirkungen des Flow-Zustandes und beschreibt diese in einem Interview mit dem Ultimate Health Podcast, in dem er sein aktuelles Buch The Art of Impossible vorstellt folgendermaßen: „Flow Zustände haben bestimmte Trigger, folgen immer der Aufmerksamkeit und entstehen nur, wenn wir ganz in unserer Aufgabe aufgehen. Wann immer wir Ideen in unserem Kopf miteinander verknüpfen, schüttet unser Körper eine kleine Menge Dopamin aus - es ist wie bei einem Kreuzworträtsel, wann immer du ein Wort gefunden hast, fühlst du dich gut. Bis in die 90er war hohe Geschwindigkeit die Messlatte für die meisten Extremsportarten - wer schneller im Ziel war, war der Gewinner. Dann kamen diese ‚Free‘-Dinger auf, Free-Surfing, Free-Skiing und das Snowboarden mit allen diesen coolen, rebellischen Typen. Es ging nicht mehr nur um Geschwindigkeit, sondern um den coolsten Move oder um die beste Linie. So, was dann passierte war folgendes, immer als diese Jungs eine kreative Entscheidung treffen mussten, bekamen sie einen kleinen Dopamin-Schuss. Davor bekam man Dopamin nur für das Risiko, dass man einging und plötzlich gabs Dopamin von unglaublich vielen Dingen. Kreativität wurde für die Extremsportarten zu einem zentralen Element mit dem Resultat, dass die Intensität des Flow-Erlebnisses bei diesen Aktivitäten unglaublich zunahm.“
Herbert Benson untersuchte an der University of Harvard die neurochemischen Reaktionen des Gehirns während eines Flow-Zustandes und fand heraus, dass währenddessen alle negativen Stresshormone aus dem Körper ausgeschieden werden, dies ist für den Körper wie ein kompletter Neustart. Andererseits werden unter anderem Noradrenaling und Dopamin ausgeschüttet, ähnlich dem Cocktail, den der Körper frisch Verliebter freisetzt. Herbert Benson vermutet in seinem Buch „The Breakout Principle“ sogar, dass viele Fälle von spontaner Selbstheilung eigentlich ein intenisves Flow Erlebnis sind. Kotlers Forschungen ergaben, dass ein Flow im durchschnitt 90 Minuten anhält. „Die Dopamin- und Noradrenalin Konzentration im Gehirn erreicht nach ca. 20 Minuten ihren Höhepunkt, der Hormoncocktail am Beginn und die Serotonin Ausschüttung am Ende des Flows können ihn aber noch verlängern und der Effekt kann bis zu zwei Tage nachwirken. In dieser Zeit werden alle Aspekte der Kreativität, wie neue Ideen und das Vermögen Problem zu identifizieren, massiv nach oben geschraubt“ ist sich Kotler sicher.
Trainiere deine Flow-Performance
Beginne deine Flow Erlebnisse gezielt herbeizuführen, in dem du mit simplen Übungen beginnst. Der erste wichtige Aspekt ist die Neugierde. Neugierde ist Motivation und Motivation wird zu Leidenschaft und durch Leidenschaft ist es viel einfacher in einen Flow zu kommen. Mache dich aktiv daran, deine Flow-Erlebnisse zu kreieren. Erinnere dich daran, was du als Kind am liebsten getan hast. Womit konntest du Stunden verbringen ohne zu bemerken wie die Zeit verrinnt? Dies sind normalerweise Dinge, die wir als Erwachsene als Erstes hinten anstellen um unseren Alltag mit Arbeit, Familie und Freunden zu managen. Beginne wieder, dir Zeit für diese Aktivitäten zu nehmen. Flow ist erlernbar, je mehr Flow-Erlebnisse du dir in deinem Alltag verschaffst, desto leichter wird es dir fallen in den nächsten Flow zu kommen. Leidenschaft findest du am besten, wenn du Dinge tust, die du liebst. Integriere diese vermehrt in dein Leben um dann in anderen Bereichen Höchstleistungen zu erzielen. Schreibe dir deine Flow-Projekte auf und mache im Terminkalender Platz dafür. Gehe eine Verpflichtung mit dir selbst ein. Am Sonntag Skifahren zu gehen und dort deinen Flow zu erleben erhöht beispielsweise die Chance ungemein, am Montag in der Arbeit deinen Workflow zu verbessern.
Optimiere deinen Arbeitsalltag um ihn Flow-tauglich zu machen. Tim Ferris empfiehlt in seinem Buch Die 4-Stunden Woche dir einen To-Do Plan für jeden Tag zurecht zu legen. Wenn möglich sollten es nicht mehr als zwei bis drei Aufgaben sein, die du am Tag sicher erledigen kannst, somit vermeidest du Stress, indem du deiner Zeit hinterherläufst und nur das Endergebnis im Auge hast. Verlege hierfür alles was nicht essentiell für die Aufgaben ist nach hinten oder auf den nächsten Tag. Beginne den Tag damit, an dem zu arbeiten, was du fertigstellen möchtest. Wenn möglich schalte dein Telefon aus während du an einem Projekt arbeitest und führe nur Gespräche, die dein aktuelles Arbeitsziel betreffen. Checke deine Mails nicht vor elf Uhr, so kannst du vorher konzentriert an deinen Projekten arbeiten. Wenn das nicht Standard in deiner Firma ist, besprich es mit deinem Vorgesetzten und bitte um eine Testphase, im besten Fall ist der Outcome lohnend für dich und deinen Arbeitgeber.
Du erhöhst dein Flow-Potential enorm, wenn du dafür sorgst, jeden Tag sieben bis acht Stunden Schlaf zu bekommen, dich gesund ernährst und viel trinkst. Auch gute soziale Kontakte tragen dazu bei, leichter in den Flow zu kommen. All diese simplen Dinge sind die Grundlage der meisten erfolgreichen Menschen. Flow ist Konzentration auf das Wesentliche. Deine Konzentration durch Achtsamkeitsübungen zu verbessern verschafft dir auch intensivere Flow-Erlebnisse. Steven Kotler empfiehlt hier täglich entweder eine 5-minütige Dankbarkeitsmeditation, 10-20 Minuten Achtsamkeitspraxis oder 20-30 Minuten Fitness und Sport.
Leichter in den Flow kommen:
Meditation, Sport oder einfach die Dinge tun, mit denen wir als Kind oft Stunden verbringen konnten.
‚In den Flow kommen‘ kann also heilen oder uns helfen Höchstleistungen zu vollbringen. Trotzdem gibt es ein paar Gefahren, die hier auf uns lauern. Im Flow tendieren wir dazu, andere um uns zu vergessen, sollten diese Personen gerade nicht im Flow sein, benötigen wir Achsamkeit um das zu erkennen und nicht selbstsüchtig zu handeln. Ausserdem tendieren wir im Flow dazu, uns zu überschätzen und das erhöht natürlich die Verletzungsgefahr, vor allem im Sport. Als mittelmäßiger Surfer ist es eben keine gute Idee, sich an eine 5 Meter Welle heranzuwagen, wenn man noch nicht einmal eine 3 Meter Welle gesurft ist.
Wir alle können den Flow-Zustand erreichen, es ist keine Frage der Persönlichkeit sondern ein ‚normaler‘ biologischer Vorgang. Regelmäßige Flow-Erlebnisse bereichern unseren Alltag immens, helfen unserer Karriere und unserer persönlichen Zufriedenheit. Flow-Erlebnisse sind der schnellste Weg, wenn du dich ganz lebendig fühlen möchtest.
Ein paar Monate später treffen ich meine Studienkollegin wieder, diesmal über Zoom. Ich erzähle ihr aufgeregt, was ich über Flow und Achtsamkeit herausgefunden habe. Anerkennend nickt sie mir zu, legt den Kopf in die Seite und meint: „Eigentlich habe ich mir gleich nach unserem letzten Gespräch gedacht, dass es wohl irgendwie etwas von beidem sein muss, und warum auch nicht. Das eine schließt das andere doch nicht aus, oder? Ich nicke lächelnd und meine zu ihr, dass es eine Mischung aus beidem womöglich sogar das Beste ist. Sie kontert nur frech: „Das hätte ich dir auch gleich sagen können!“ und wir brechen in schallendes Gelächter aus.
In diesem Sinne:
„Go for the flow!“
Buchempfehlung:
Steve Kotler: „The Art of Impossible: A Peak Performance Primer“ Erschienen am 19.1.2021, HarperCollins Publishers. New York.
https://www.amazon.de/Art-Impossible-Peak-Performance-Primer/dp/0062977539/
Alle Rechte vorbehalten | Dominic Schafflinger, 26.01.2021